Hier sitze ich nun mit einem 1,5l Tee und versuche in Worte zu fassen was ich bei Mario erlebt, gesehen und gerochen habe. So viel sei gesagt: John und Mario würden definitiv keine Freunde werden…
Also:
Mario! Ein Metalhead. Lieber Kerl. Leicht pummelig, lange blonde Haare und abgekaute Fingernägel. Hätte ich ihn auf der Strasse getroffen, anonym und zu ein bisschen Smalltalk würde ich über ihn sagen: „Er ist nett, sicher ein lieber Kerl.“ Nicht mehr und nicht weniger.
Da ich Mario allerdings nicht anonym sondern in seinen eigenen vier Wänden begegnet bin kann ich leider nicht mehr so neutral urteilen.
Mitte November, ich war eigentlich auf dem Heimweg (es war kalt, windig und regnete), da rief Mario gegen Mitternacht an. Seine Stimme klang leicht kratzig und hektisch aber im groben und ganzen sehr sympathisch. Er fragte ob ich noch Zeit habe, erkundigte sich nach meinem Honorar und teilte mir mit nähe St.Gallen wohnhaft zu sein. Da ich ein Nachtmensch bin und mich eigentlich auch noch nicht auf „Feierabend“ eingestellt hatte sagte ich zu. Eine Stunde später stand ich vor einem eher schäbigen Altbau und konnte nicht so recht einschätzen auf was ich in den nächsten paar Minuten treffen würde. Im Erdgeschoss roch es nach indischer und thailändischer Küche, im zweiten und dritten Stock vermutete ich Familien mexikanischer Herkunft. Nebenbei bemerkte ich dass ich noch nicht viel- eigentlich gar nichts- gegessen hatte und nahm mir vor daheim noch zu kochen. Im fünften Stock erreichte ich dann endlich Mario’s Wohnung.
Ich drückte auf die Klingel, gerumpel war in der Wohnung zu hören und irgendetwas fiel zu boden. Die Türe öffnete sich und ich erblickte zuerst einfach mal Mario in seiner ganzen Pracht. Zwei Meter Mensch, gehüllt in Schwarze schmuddlige Jeans und einem ebenso ungepflegtem Linkin Park Shirt begrüssten mich freudestrahlend. Mario zog mich in die Wohnung und schloss die Tür. Was ich da sah raubte mir fast den Atem… „Willst du was trinken? Ich habe aber nur Bier, ich hoffe das ist okay für dich“ fragte er mich und watschelte in die Küche. „Ja gerne“, „Sorry ich konnte nicht aufräumen, war ein stressiger Tag heute“, erwiederte Mario, ich schaute mich immernoch ungläubig in der Wohnung um.
Im Korridor hatte sich Mario einen kleinen Trampelpfad zwischen Abfall, Kehrichtmüll, Dreck und Sperrgut zurechtgelaufen welcher von der Haustüre zur Küche und ins Wohnzimmer führte. Das Wohnzimmer war ausgestattet mit einer Couch, einemFernseher und einem Beistelltisch. Auf dem Boden fand ich selbiges wie im Korridor wieder- allerdings nur älteren Datums.
Bücher, Essensreste und Zigarettenstummel teilten sich den Boden rund um die Couch, beim Fernseher gesellten sich noch gebrauchte Taschentücher und leere Bierdosen dazu. Das ganze türmte sich auf gut 20cm höhe und hatte sich bis zum Elektro- und Sperrmüll, welcher sich vor der Heizung türmte, ausgebreitet. An der Wand entdeckte ich Schimmel und suchte nach der „Ursache“- diese war schnell gefunden. Eine Pizza vegetierte wohl schon seit Wochen vor sich hin und verbreitete einen süsslich-gammligen Geruch. Instinktiv kratzte ich mich am Bein und am Oberarm während Mario sich intensiv mit seinem Handy beschäftigte. Ihn schien es nicht zu stören dass sich in meinem Gesicht das pure Entsetzen breit gemacht hatte. Ich stützte mich auf der Couch ab und legte meine Hand sogleich wieder auf mein Knie. Ekel. Die „Sitzgelegenheit“ war klebrig und feucht. Erneuter Ekel, mein Magen rotierte, meine Nase wäre wohl in Streik getreten. „Rauchst du? Komm wir rauchen eine zusammen“, strahlte mich Mario an. Mit der einen Hand bot er mir eine Zigarette an (dankend grapschte ich den Glimmstängel aus der Packung), mit der anderen Hand nahm er den vollen Aschenbecher vom Tisch und leerte dessen Inhalt auf den Boden. Unfähig einen vernünftigen Satz zusammenzustellen rauchte ich meine Zigarette um meinen Magen per Placebo-Effekt zu beruhigen. „Hier dein Honorar“ gluckste Mario und prostete mir mit seiner Bierdose zu. Ein „Prost“ brachte ich heraus, danach versagte mein Sprachzentrum erneut und mein Magen drehte weiterhin seine Runden. Dass ich zuhause noch etwas kochen würde bezweifelte ich stark und war gleichzeitig froh mit leerem Magen dazusitzen… Ich steckte das Geld ein und bekam langsam das Gefühl dass alles was ich anfasste klebrig sei. Portmonée, Handy, Zigarette…Sogar ich fühlte mich klebrig obwohl ich nur meine Jacke ausgezogen hatte. Nach ein paar Schlucken Bier und einer weiteren Zigarette war ich wieder Herr über meine Zunge und schaffte es mich nach seiner Arbeit zu informieren. Mario erzählte in einer Seelenruhe von seiner Arbeit als Lagerarbeiter, seiner Leidenschaft zu Metal, seinen Science Fiction und Fantasy Büchern, als er mich dann aufforderte ins Schlafzimmer mitzukommen. Ich folgte Mario durch den Trampelpfad und hielt mich am (klebrigen) Türrahmen fest als ich das Schlafzimmer sah. Schimmel auf der Bettdecke, auf der Matratze und am Boden fand sich selbiges wie im Wohnzimmer. Ich sah entsetzt Mario an, tappste über den Trampelpfad zurück ins Wohnzimmer und stopfte meine Jacke in meine Handtasche. Ich glaubte mich noch an Ort und Stelle übergeben zu müssen.
Er verstand die Welt nicht mehr und fragte mich (ernsthaft) ob ich vorhätte zu gehen obwohl er noch nichts von mir bekommen habe. „Mario, du bist sicher ein ganz netter Typ aber bei solchen Zuständen sehe ich nicht ein warum ich noch eine Minute länger bleiben sollte“, versuchte ich Ihm zu erklären, allerdings ohne nennenswerten Erfolg. „Ich habe dich für 2h bezahlt, du bist jetzt seit 15 Minuten da und haust jetzt einfach ab. Du bist eine richtige Verarscherschlampe“, zeterte Mario mit geballter Faust. Jetzt hatte ich die Schnauze voll!
„Du wohnst im Dreck, denkst du irgendjemand möchte sich länger als eine Minute freiwillig in diesem Loch aufhalten? Du hattest keinen stressigen Tag, du hast ein Problem und bevor du dass nicht im Griff hast fasst du mich weder an noch betitelst du mich als Schlampe! Haben wir uns verstanden?“, zischte ich Mario an. Er schwieg, drehte sich von mir Weg und murmelte noch: „Na dann geh doch du Schickimicki Zicke“. Ich beschloss diesen Satz mit keinem weiteren Kommentar zu würdigen und verliess die Wohnung.
Zuhause sprang ich unter die Dusche, wusch mich drei Mal und blieb dort eine gute Stunde unter der Brause stehen. Anschliessend beschloss ich mein Bett frisch zu beziehen und erhielt prompt noch eine SMS von Mario.
„Wenn du’s so gerne Piksauber hast geh doch putzen, Schlampe“
Wie nett.